Ich bin ein Guter Hirte sagen sie. Ich bin stark. Ich kann auch laut schreien. Ich weiß wie man einen Stock schwingt. Alle im Dorf sagen, dass ich ein guter Hirte bin. Deswegen darf ich Hirte sein. Die wissen einfach, dass ich klug bin. Ich bin einfach der beste Hirte.
Ich musste meinen Kopf unweigerlich schräg halten, so als ob ich ihn besser verstehen wollte. „Ach ja?“ antwortete ich, „Wie gefällt es dir denn?“ „Oh sehr gut“ fing er wieder in demselben pathetischen Ton an, fiel dann aber schnell in einen kindlichen Ton zurück und sagte: „Aber manchmal ist es mir Langweilig. Und dann lasse ich mir was einfallen!“ Bei diesen letzten Worten blitzten seine Augen auf, die sonst etwas Stumpf dreinblickten. „Was denn?“ fragte ich interessiert, „Hast du dir eine Flöte geschnitzt und machst du Musik?“ Er lachte hell auf. „Nein, viel besser, pass mal auf“ Und noch bevor ich antworten konnte, schrie er aus Leibeskräften “HILFE, HILFE, DIE WÖLFE KOMMEN!“. Ich blickte mich zuerst erschrocken um, dachte, dass bei so einem plötzlichen Hirnumschwung wirklich Wölfe angehetzt kommen würden. Dann sah ich aber den Schalk aus den Augen des Jungen blitzen. Mein Mund öffnete sich, ich bekam aber keinen Ton heraus- war der Junge wahnsinnig? „Jetzt schau mal was passiert“ lachte er mich an. Ja ich sah, was da passierte, das halbe Dorf, das in der Talniederung lag, stürzte aus den Ställen und aus den Häusern. Sie packten was gerade zu Hand war, galt es doch ihre eigenen Tiere zu schützen.
Sie stürmten den Hang hinauf zur Weide mit entschlossenen Gesichtern, den Wölfen doch endlich das Garaus zu machen.
Welche einen Kontrast bildete hierzu aber der junge Hirte. Er jauchzte und klatschte in die Hände. „Siehst du, Siehst du wie sie alle kommen. Das macht Spaß. Dann ist richtig was los im Dorf“ Ich glaubte meinen Augen nicht. „Machst du das öfters?“ „Ja, manchmal, wenn ich ein knacken im Wald höre, oder was Schlechtes geträumt habe auf der Wiese. Oder einfach nur so, weil es Spaß macht. Und die Leute glauben mir. Nur wenn ich „Wolf“ schreie kommen alle her.“
Währenddessen waren die Dorfleute angekommen und sahen das friedlich grasende Vieh auf der Wiese und kein Stäubchen konnte das idyllische Bild trüben, ausgenommen die Sensen und Knüppel die die Männer und Frauen in den Händen hielten. Der schnellste von ihnen, ein biederer kräftiger Mann herrschte in an: „Wo isch der Wolf hä? Was brüllsch du so übers Tal, als wenns kein Morgen gäb, hä?“ Einfältig blickte der Junge drein „Ich wollt halt dem Herrn zeigen, was ich hier so mach“ Jetzt bemerkte er auch mich. „Wer sind sie?“ fragte er mich „Ich bin ein Wanderer, ich suche nach Geschichten, die mir Lehren fürs Leben geben. So reise ich von Ort zu Ort und schaue mir die Menschen an“ „Na von dem kannsch net viel lerne“ brummte er indem er mit dem Kinn auf den Jungen zeigte, der mittlerweile auch von anderen Dorfleuten vermahnt wurde. Zuvorderst von einer kräftigen Frau mit einer blauen Schürze und einer langen Heugabel in der Hand. „Wenn der noch so weiter mächt, glaubts dem keiner mehr. Und dann verreckt irgendwann unser Vieh“
Kopfschüttelnd wand er sich um und schritt auf das Dorf zu. Nach einige Schritten drehte er sich um und fragte mich: „Wollen se mit mir mitkomme? Bei uns bekommet se a warme Mahlzeit und könnet auch übernachte. Nur wenn se halt wolle. Isch halt so ein Angebot von mir“ Mich freute diese herzliche Direktheit, denn vielleicht könnten mich die Leute was lehren, was sich niederschreiben lässt. So nahm ich das Angebot dankend an.
Er zeigte mir seinen kleinen, aber sauberen Hof und das liebevoll eingerichtete rustikale Bauernhaus mit selbstgezimmerten Möbeln. Mir gefiel seine Gesellschaft. Denn auch wenn er keine besondere Bildung genossen hat, zeigte er eine tiefe Lebensweisheit, mit der er die Dinge im Leben nüchtern betrachten konnte. „Des was du vom Ken gehört hasch, weisch, von unserem Dorfhirten, der isch halt a bissle komisch. Der isch scho von Geburt an so. Mir könnet dem halt net böse san, mir sin scho froh, dass er wenigstens so isch. Die andere Jungs brauchet mer halt uf em Feld. Dann mächt er halt derweil de Hirt. Hörsch da fängt er wieder an“
Und jetzt hörte ich es auch. Der Dorfhirte, der wohl nur Ken genannt wurde, schrie wieder von der Weide „WÖLFE, HILFE, HILFE, DIE WÖLFE KOMMEN“ Ich erwartete, dass wieder eine Bewegung im Dorf entstand, aber nur langsam traten der eine und der andere Bauer auf die Straße, beschatteten ihre Augen mit der Hand gegen die untergehende Sonne und blickten Fragend auf die Dorfweide am Hang. Ja und dann sahen sie es. Da kamen die Wölfe aus dem Wald gejagt und stürzten sich auf das Vieh. Jetzt kam auch Bewegung die die Bauern, die müde von dem Tagwerk waren. Einige hasteten zurück in ihre Höfe, packten das, was gerade so rumlag und rannten so schnell sie konnten den Berg hinauf. Ich rannte ihnen hinterher, dachte, ob ich da nicht vielleicht auch was helfen könnte. Doch ach, was bot sich uns da für ein grausiges Bild auf der Wiese. Die Wölfe waren geflüchtet, doch wie haben sie das Vieh zugerichtet. So an die fünf Stück waren gerissen und lagen in ihrem Blut auf der Wiese und der Hirtenjunge Ken fehlte. Nach einige Zeit fand man ihn, er hat den kürzesten Weg zum Dorf genommen und wollte durch ein Gebüsch rennen, dort ist er wohl hängengeblieben und wurde von einem Wolf übel zugerichtet. Er lebte noch, doch wie hoch war der Preis, den er für seinen Spaß zahlen musste.
„Siechs Schreiber“ kam mein Gastgeber auf mich zu, während sein Dreschflegel um sein Knie baumelte. „Wolltsch was lerne von denne Leut uf em Land. Und ich sag dir noch, von dem kannsch nix lerne. Aber oines hat er mich glehrt. Wennd lügsch, dann kommt die Zeit, da glaubt ders keiner, auch wennd die Wahrheit sprischsch.
Ja traurig ging diese Geschichte aus. Ich blieb noch einige Tage in dem Dorf um zu sehen, ob der Hirtenjunge Ken über den Berg käme. Ich bot mich an ihn in die Stadt zum Spital zu bringen. Aber er hatte eine zähe Natur, die Wunden heilten rasch und er erholte sich. Weil ich den Leuten nicht auf der Tasche liegen wollte, zog ich weiter. Mit einer neuen Geschichte in der Tasche und einer ernsten Lehre im Herzen.
Heute haben wir auch Menschen, die diesem Hirtenjungen Ken gleichen. Vielleicht heißen sie gleich oder ein bisschen anders, sind nicht Hirte sondern was anderes vom Beruf. Aber sie lieben es, laut zu schreien, mittlerweile sagen sie nicht mehr „Wölfe“, sondern „Reptilien“ oder „Q“ statt „Kuh“ aber noch immer sind sie die gleichen. Sie schreien, wo es nichts zu schreien gibt. Und eines Tages, wenn es dann wirklich ernst ist, glaubt es keiner. Weil so oft gelogen wurde. Weil so oft etwas prophezeit wurde und es nicht eingetroffen ist. Dann müssen wir alle leiden, und die Schuld liegt dann bei denen, die die falschen Hirten waren.
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7 Antworten
Danke für diesen Beitrag, passend zur Anfälligkeit für Verschwörungstheorien in unseren Kreisen…
Und ich frage mich, warum? Eine Antwort habe ich noch nicht, aber ich hoffe das solche Beiträge helfen, ein bisschen Abstand von solchem Gefilde zu halten.
ich habe da schon einen verdacht, ich überlege ebenfalls schon länger einen Artikel darüber zu schreiben, aber bin mir aus zwei Punkten noch nicht ganz sicher. Erstens ob ich es wirklich packe, treffend zu schreibern, und zweitens ob er dann wirklich auch hilfreich sein wird. Insgesamt wird es wie immer etwas schmerzlich sein…
Ich habe dazu Fragen: Wie kann ich ganz klar Verschwörungstheorien von Wahrheit unterscheiden? Wie kann ich wissen welche Quellen im Internet sicher und zuverlässig sind und was ,,Gerücht“ ist und nicht geteilt werden sollte, oder ob vielleicht sogar die ,,Offiziellen“ Nachrichten lügen? Was kann man liebevoll antworten, wenn man ein Video, Link etc. zugeschickt bekommt, von dem man denkt, dass es wohl eher nicht Wahrheit ist, der andere aber daran festhält?
Hebräer 5,14b wird wohl eine mögliche Antwort sein, aber wie kommt man dahin?